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Bei Abschluss eines Vergleiches im schriftlichen Verfahren erhält der Anwalt auch in sozialgerichtlichen Verfahren eine Terminsgebühr (fiktive Terminsgebühr).
Datum: 16.10.2006
Kurzbeschreibung:
Im Klageverfahren war die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als von 30 ab 15.10.2003 streitig. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2004 wurde ein GdB (Gesamt-GdB) von 30 seit 15.10.2003 festgestellt. Im anschließenden Klageverfahren zog das Gericht zunächst verschiedene Unterlagen bei und holte vier sachverständige Zeugenauskünfte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein. Hierauf unterbreitete der Beklagte ein Vergleichsangebot vom 10.02.2005 und erklärte sich bereit, den GdB auf 40 ab 15.10.2003 festzusetzen. Nachdem sich die Klägerin damit nicht einverstanden erklärte hatte, ist durch die Kammer weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen erfolgt (Beiziehung der Gutachten und ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg/ Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg; Beiziehung eines klinischen Entlassungsberichtes; Einholung von zwei weiteren sachverständigen Zeugenauskünften behandelnder Ärzte der Klägerin), woraufhin der Beklagte unterm 04.10.2005 ein weiteres Vergleichsangebot unterbreitete. Darin wird bei der Klägerin ein GdB von 40 ab 15.10.2003 und von 50 ab 01.03.2005 festgestellt; außergerichtliche Kosten werden zu 1/3 erstattet.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 07.11.2005 nahm die Klägerin das Vergleichsangebot des Beklagten vom 04.10.2005 an und die Klage im Übrigen zurück. Gleichzeitig beantragte sie, die zu erstattenden Kosten für das Klageverfahren wie folgt festzusetzen:
Vergütungsverzeichnis (VV) |
||
Verfahrensgebühr |
VV 3102 |
250,00 € |
Terminsgebühr |
VV 3106 |
200,00 € |
Erledigungsgebühr |
VV 1005 |
190,00 € |
Auslagenpauschale |
VV 7002 |
20,00 € |
Auslagen für Fotokopien |
VV 7000 |
8,00 € |
Zwischensumme |
668,00 € |
|
16 % Umsatzsteuer |
VV 7008 |
106,88 € |
Insgesamt |
774,88 € |
|
Hiervon 1/3 |
258,29 € |
Der Beklagte hat gemäß Schriftsatz vom 16.11.2005 an außergerichtlichen Kosten 180,96 € angewiesen, wobei er mit Ausnahme der Terminsgebühr in Höhe von 200,00 € dem Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin gefolgt ist.
Nach Meinung der Klägerin (Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 01.12.2005) sei auch die beantragte Terminsgebühr nach der Ziffer 3106/3104 VV in Ansatz zu bringen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.01.2006 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Karlsruhe die vom Beklagten der Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 180,96 € fest. Dem lag folgende Berechnung zugrunde:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 250,00 €
Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190,00 €
Auslagenpauschale 20,00 €
Auslagen für Kopie 8,00 €
16 % MWSt. 74,88 €
insgesamt 542,88 €
hiervon 1/3 gemäß Vergleich 180,96 €
Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung im Kostenfestsetzungsbeschluss Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 09.01.2006 Erinnerung eingelegt und weiterhin die Auffassung vertreten, dass eine Terminsgebühr nach VV 3106 über die im RVG ausdrücklich geregelten Fälle hinaus auch bei Abschluss eines Vergleiches entstehe. Er hat hierzu auf einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Speyer vom 25.11.2005, S 6 R 282/05, verwiesen und auf die dortigen Darlegungen Bezug genommen.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
Beide Beteiligten haben daraufhin ihren bisherigen Standpunkt weiterhin aufrecht erhalten. Die Klägerin verweist noch ergänzend auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 27.10.2005, AnwBl 1/2006, 53, wonach bei einem schriftlichen Vergleich neben der Verfahrensgebühr und der Einigungsgebühr zusätzlich eine Terminsgebühr anfalle; diese stehe ihr deshalb auch im vorliegenden Rechtsstreit zu. Der Beklagte erachtet den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.01.2006 für zutreffend und bleibt bei seiner Rechtsauffassung, dass in Verfahren vor den Sozialgerichten bei schriftlichen Vergleichsabschlüssen keine Terminsgebühr fällig werde. Auch in Kenntnis der Beschlüsse des SG Speyer sowie des BGH verbleibe es bei dieser Meinung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Prozessakten S 10 SB 3204/04 sowie auf die gewechselten Schriftsätze inhaltlich Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung ist zulässig (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet.
Streitig ist im vorliegenden Falle allein die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 in Verbindung mit Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) hat.
Zur Überzeugung der Kammer steht der Klägerin eine derartige Terminsgebühr - neben der jeweils unstreitigen Verfahrensgebühr wie auch Einigungsgebühr - zu.
Hierbei handelt es sich, wie im Beschluss des SG Speyer, a. a. O., gleichfalls ausgeführt, um eine fiktive Terminsgebühr, wobei im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen ist, dass der Rechtsstreit nicht durch ein (volles) Anerkenntnis gemäß § 101 Abs. 2 SGG seine Erledigung gefunden hat, sondern vielmehr durch die Annahme des schriftlichen Vergleichsangebotes des Beklagten aufgrund einer prozessbeendenden Erledigungserklärung der Klägerin.
Nr. 3106 VV RVG normiert, dass eine Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), in Höhe von 20,00 € bis 380,00 € anfällt. Ziffer 3. der Nr. 3106 VV RVG führt aus, dass die Gebühr auch entsteht, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Alleine aus diesem Wortlaut heraus besteht daher kein Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr. Ein derartiges Ergebnis würde aber zur Überzeugung des Gerichts der gesetzgeberischen Intention, eine außergerichtliche Erledigung zu fördern und dadurch in möglichst vielen Fällen eine mündliche Verhandlung zu verhindern, völlig zuwiderlaufen (vgl. hierzu auch die Begründung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung unter III.5: „Die außergerichtliche Streiterledigung soll ferner dadurch gefördert werden, dass die Terminsgebühr auch dann anfallen soll, wenn der Rechtsanwalt nach Erteilung eines Klageauftrags an einer auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung mitgewirkt hat“). Für den Fall, dass in sozialgerichtlichen Verfahren nach Streitwert abgerechnet wird, sieht Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1, am Ende, VV RVG auch eine fiktive Terminsgebühr vor, wenn ein schriftlicher Vergleich geschlossen und dadurch eine mündliche Verhandlung vermieden wird. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung von sozialgerichtlichen Verfahren mit Betragsrahmengebühren einerseits und Verfahren, in denen Gebühren nach dem Streitwert abgerechnet werden andererseits, ist im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel der Terminsvermeidung zur Überzeugung des Gerichts nicht zu erkennen. Diese Auffassung hat bereits das SG Speyer, a. a. O., gleichfalls - zu Recht - vertreten.
Die - möglicherweise auch nur vermeintliche - widersprüchliche Ausformulierung in den Nrn. 3104 VV RVG sowie 3106 VV RVG dürfte daher auf einem gesetzgeberischen Versehen beruhen (vgl. ferner auch Guhl in NZS 2005, 194, 195; Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 19.08.2005, S 5 KR 351/04). Nach alledem hat die Klägerin neben der jeweils unstreitigen Verfahrensgebühr sowie Einigungsgebühr auch einen Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr in analoger Anwendung der Nr. 3104 VV RVG.
Gestützt wird dieses Ergebnis ferner - entgegen der Auffassung des Beklagten - durch die maßgebliche Literatur. So wird beispielsweise in Baumgärtel u. a., Kommentar zum RVG, 1. Auflage, ausdrücklich dargelegt, dass nach Nr. 3104 VV RVG i. V. m. Nr. 3106 VV RVG der Rechtsanwalt eine volle Terminsgebühr nunmehr auch für den Abschluss eines schriftlichen Vergleiches in einem Verfahren, für welches eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, verdient, wobei dies nun nicht mehr für umstritten erachtet wird (vgl. Baumgärtel u. a., a. a. O., Teil 3 VV RVG Terminsgebühr Nr. 3104, Randnr. 4, m. w. N.). Dieses Ergebnis lässt sich auch aus der Kommentierung von Gerold/Schmidt u. a. zum RVG, 16. Auflage, ableiten. Unter Nr. 3106 Ziffer 3. VV RVG wird in dem entsprechenden Kommentar lediglich auf die Erläuterungen zu VV 3104 Bezug genommen und verwiesen (Gerold/Schmidt u. a., a. a. O., VV 3106, Randnr. 4). In der Kommentierung zu Nr. 3104 VV RVG wird dann ausdrücklich angegeben, dass für den Fall, dass die Parteien in einem Verfahren, für welches mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, einen schriftlichen Vergleich schließen, der dabei mitwirkende Rechtsanwalt eine gesonderte Terminsgebühr verdient. Bezüglich des Wortlautes wird hier auch ausdrücklich auf die Widersprüchlichkeit in den Formulierungen des RVG abgestellt und hingewiesen (vgl. Gerold/Schmidt, a. a. O., Nr. 3104 VV RVG, Randnrn. 54, 55 ff). Damit wird bei dieser Kommentierung gerade, wie auch vom SG Speyer, a. a. O., nicht nur auf die widersprüchlichen Ausformulierungen in den Nrn. 3104 VV RVG und 3106 VV RVG abgestellt, sondern zusätzlich die „Verknüpfung“ dieser beiden Nummern betont. Hieraus resultiert dann der klägerische Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr. Letztlich wird die Auffassung des Gerichts auch durch die von der Klägerin vorgelegte Entscheidung des BGH vom 27.10.2005 gestützt, da auch hiernach für den Fall, dass ein erstinstanzlich geführter Prozess durch einen schriftlichen Vergleich abgeschlossen wird, neben einer Verfahrensgebühr und einer Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr entsteht.
Nach alledem ist der Klägerin die - allein streitbefangene - Terminsgebühr nach Nrn. 3106/3104 VV RVG zuzubilligen, und zwar auch in der beantragten Höhe (200,00 €; hiervon anteilmäßig 1/3).
Hieraus errechnet sich dann ein Gesamtbetrag der vom Beklagten der Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Höhe von 258,29 €.
Diese Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.
Aktenzeichen: S 10 SB 134/06 KO-A