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Eingliederungshilfe (hier: Hilfe zur Hochschulausbildung) durch den Sozialhil-feträger auch bei bereits erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung des Hilfesuchenden nicht ausgeschlossen, sofern die Hochschulausbildung eine „angemessene“ Berufsausbildung darstellt
Datum: 29.09.2014
Kurzbeschreibung:
Die 1988 geborene Antragstellerin leidet an einer angeborenen hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit nur geringem Resthörvermögen. Ihre Schulausbildung beendete sie mit der allgemeinen Hochschulreife. Danach absolvierte sie erfolgreich eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und war in diesem Beruf rund zwei Jahre lang in einer Klinik in E. und anschließend etwa 9 Monate an einer anderen Klink im Rahmen einer Schwangerschaftsvertretung tätig. Ihren Antrag, die zum Ausgleich ihrer Behinderung während eines ab dem Wintersemester 2014/2015 beabsichtigten Hochschulstudiums im Bereich Erziehungswissenschaften entstehende Aufwendungen u.a. für Schrift- und Gebärdendolmetscher aus Mitteln der Eingliederungshilfe zu übernehmen, lehnte der Sozialhilfeträger ab.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hatte teilweise Erfolg: Leistungen der Eingliederungshilfe i.S.d. SGB XII umfassten u.a. die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Näheres regele hierzu die EinglHV. Welcher Beruf „angemessen“ ei, konkretisiere das Gesetz nicht. Entscheidend seien die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeit des Behinderten im Einzelfall. Die Antragstellerin müsse sich dabei entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht auf den erlernten und nachfolgend auch ausgeübten Beruf der Ergotherapeutin verweisen lassen, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch ihr Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sichergestellt gewesen sei. Entscheidend sei, dass sie durch ihren bisherigen beruflichen Werdegang mit dem Erlangen der allgemeinen Hochschulreife gezeigt habe, dass sie die Fähigkeiten und das Durchhaltevermögen besitze, einen höher qualifizierten Beruf als den der Ergotherapeutin zu erlernen und erfolgreich auszuüben. Der Beruf der Ergotherapeutin werde ihren Kräften und Fähigkeiten, so wie sie sie bislang unter Beweis gestellt habe, nicht (mehr) gerecht und stelle deshalb keine geeignete (angemessene) Alternative (mehr) für sie dar. Gerade im Fall eines behinderten Menschen biete eine möglichst hohe Qualifikation regelmäßig die beste Gewähr dafür, dass der behinderte Mensch auf Dauer seinen Lebensunterhalt selbst sicherstellen könne. Es sei deshalb nicht nur dem bzw. der Betroffenen gegenüber unangemessen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit kurzsichtig, in einem solchen Fall Hilfen zum Erwerb einer höheren Qualifikation (hier: Durchführung eines Hochschulstudiums) zu verweigern, wenn - wie vorliegend - prognostisch mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem erfolgreichen Abschluss und dem anschließenden beruflichen Einsatz gerechnet werden könne. Eine Ausbildung für einen „angemessenen Beruf“ im Sinne der Vorschriften der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe liege deshalb vor, wenn auch ein nicht behinderter Mensch in der Rolle des behinderten Leistungsberechtigten im konkreten Einzelfall bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den gewährten Ausbildungsweg eingeschlagen hätte. Diese Voraussetzungen sah das Sozialgericht Karlsruhe vorliegend bei der gebotenen summarischen Prüfung vorläufig als erfüllt an. Es hat deshalb den Sozialhilfeträger im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, die der Antragstellerin während der beiden ersten Studiensemester für bestimmte, von ihr konkret bezeichnete Hilfeleistungen entstehenden Kosten aus Mitteln der Eingliederungshilfe vorläufig zu übernehmen (Beschluss vom 29.09.2014 - S 1 SO 3101/14 ER -, nicht rechtkräftig).