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Anspruch eines Asylbewerbers auf Leistungen bei akuter Erkrankung auch ohne vorherige behördliche Genehmigung
Datum: 22.09.2016
Kurzbeschreibung:
Streitig ist die Übernahme von Kosten, die für eine stationäre Krankenhausbehandlung der Klägerin in der Zeit vom 28.05.2013 bis zum 29.05.2013 entstanden sind.
Die aus Serbien stammende Klägerin ist im Oktober 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie bezieht Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von dem Beklagten. Am 16.05.2013 stellte sie einen Antrag auf Kostenübernahme für eine operative Entfernung von Hämorridalknoten. Die Operation war für den 28.05.2013 geplant. Der Beklagte beauftragte noch am Tag des Antrags das Gesundheitsamt mit der Prüfung, ob die Kosten für die Kosten für die OP übernommen werden können und räumte hierfür eine Frist bis zum 21.05.2013 ein. Am 23.05.2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, ihre behandelnden Ärzte hielten die geplante Operation für unaufschiebbar. Der Beklagte erwiderte, der Sachverhalt habe noch nicht abschließend geprüft werden können. Deswegen könne eine Kostenzusage nicht erteilt werden. Aus diesem Grund könne die OP im Mai nicht stattfinden. Am 28.05.2013 erfolgte die stationäre Aufnahme der Klägerin mit operativer Entfernung der Hämorridalknoten. Am 31.07.2013 ging bei dem Beklagten die an die Klägerin adressierte Rechnung für die OP in Höhe von 1.326,37 € ein. Am 16.09.2013 folgte die Mahnung. Mit Schreiben vom 30.10.2013 wurde der Beklagte von der nunmehr anwaltlich vertretenen Klägerin dazu aufgefordert, die Rechnung für die OP zu übernehmen. Am 03.12.2013 teilte der Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach der Vorschrift des § 4 AsylbLG nicht vorlägen, nachdem die Operation vorab nicht genehmigt worden sei. Daraufhin übersandte die Klägerin der Beklagten am 02.03.2014 die schriftliche Stellungnahme des behandelnden Arztes. Dieser führte aus, bei dem Krankheitsbild der Klägerin habe es sich nicht um einen lebensbedrohlichen Notfall gehandelt. Es hätten jedoch rezidivierende Schmerzen und Blutabgänge bestanden. Aufgrund dieses Befundes sei eine langwierige Abklärung der Kostenübernahme aus ethischen Gründen für den Patienten unzumutbar. Mit Bescheid vom 21.08.2014 wurde die Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten abgelehnt. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Deswegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Der Klage wurde stattgegeben. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG seinen zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmittel sowie sonstige zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderliche Leistungen zu gewähren. Unter einer akuten Erkrankung verstehe man einen unvermutet auftretenden, schnell und heftig verlaufenden, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedürfe. Ausgehend von dieser Definition bedürfe es einer Abgrenzung ggf. leistungsauslösender akuter gegenüber nicht akuten und damit chronischen Erkrankungen; letztere würden nicht von § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erfasst. Bei Hämorrhoiden handele es sich grundsätzlich um eine chronische Erkrankung. Allerdings könnten mit chronischen Erkrankungen akute, konkret behandlungsbedürftige Krankheitszustände einhergehen. Die Behandlung dieser akuten Krankheitszustände falle dann unter die Regelung des § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG unabhängig davon, ob durch die Behandlung des akuten Krankheitszustandes zugleich eine Therapie des untrennbar verbundenen Grundleidens einhergehe. Im Fall der Klägerin handele es sich zur Überzeugung der Kammer um eine akute Erkrankung. Bei einem solch ausgeprägten Befund habe nur die Möglichkeit der operativen Therapie bestanden, da die Schmerzen sehr beträchtlich gewesen seien und die Blutabgänge lebensbedrohende Ausmaße annehmen könnten. Letztlich sei die Behandlung lege artis gewesen und habe nicht aufgeschoben werden können. § 4 Abs. 1 S. 1 AsylbLG räume nach seinem eindeutigen Wortlaut auch kein Ermessen ein, sodass die notwendige ärztliche Behandlung zu erbringen sei.
Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten sei auch keine vorherige Genehmigung der Behandlung erforderlich. Dies widerspreche § 6b AsylbLG in Verbindung mit § 18 SGB XII. Gemäß § 6b AsylbLG sei zur Bestimmung des Zeitpunkts des Einsetzens der Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 § 18 SGB XII entsprechend anzuwenden. Es handele sich um einen Antragsverzicht. Das Sozialhilferechtsverhältnis entstehe ohne Antrag schon dann, sobald dem Leistungsträger bekannt werde, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorlägen. Genüge es aber für die Leistungserbringung, dass Kenntnis von dem Bedarf bestehe, könne die Leistung nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine vorherige Genehmigung durch den Leistungsträger erteilt worden sei. Dies würde dem Sinn des Antragsverzichts widersprechen. Der Leistungsträger habe nämlich dann die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Leistungserbringung selbst zu bestimmen, indem er mit der Genehmigung zuwarte. Im Hinblick auf eine zeitgerechte, erforderliche sofortige Hilfe widerspreche dies der deutlich zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers. Es obliege dem Leistungsträger gemäß § 17 Abs. 1 SGB I sich hierauf einzurichten und entsprechende organisatorische Vorkehrungen zu treffen. (Urteil vom 22.09.2016 - S 12 AY 3783/14)