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Der Besuch einer Berufsmittelschule im ehemaligen Jugoslawien in den Jahren 1976 bis 1979 begründet eine Anrechnungszeit wegen Fachschulbesuchs

Datum: 23.02.2021

Kurzbeschreibung:     

Die Beteiligten streiten über die Vormerkung einer rentenversicherungsrechtlichen Anrechnungszeit. Der Kläger wurde im Jahr 1960 im ehemaligen Jugoslawien (Teilrepublik Bosnien-Herzegowina) geboren. Von 1976 bis 1979 besuchte er dort im Anschluss an die allgemeine Schulausbildung eine Berufsmittelschule, um den Beruf des Drehers zu erlernen. Die hierfür beantragte Vormerkung einer Anrechnungszeit lehnte die Beklagte ab. Der Vormerkung der einzig in Betracht kommenden Zeit des Besuchs einer Fachschule stehe entgegen, dass praktische Unterweisungen hier die theoretischen Inhalte überwogen hätten und dass Fachschulen begrifflich auch nur der Vertiefung bereits erworbener beruflicher Kenntnisse dienten.

Die Klage vor der 6. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe hatte Erfolg.

Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI seien Anrechnungszeiten u.a. Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Fachschule besucht haben. Der Besuch ausländischer Einrichtungen sei vormerkungsfähig, wenn diese in wesentlichen Zügen mit dem inländischen Schultyp übereinstimmten. Die Berufsmittelschule habe fachschultypisch berufliche Kenntnisse vermittelt. Unschädlich sei, dass nach inländischem Verständnis Fachschulen durch eine überwiegend theoretische Ausbildung gekennzeichnet seien und grundsätzlich nur bereits erworbene berufliche Kenntnisse vertieften, wohingegen der Kläger eine Erstausbildung absolviert habe und hierfür in beträchtlichem Umfang in der schuleigenen Werkstatt praktische Unterweisungen erhalten habe. Die Art der Ausbildung, wie sie in der Berufsmittelschule erfolgt sei, rechne jedenfalls noch zum historischen Ursprungskern des Fachschulbegriffs. So hätten bis in die 1950er-Jahre in Deutschland noch sog. Berufsfachschulen existiert, die zumindest regional die berufliche Erst-Ausbildung mit zugleich praktischer Schwerpunktsetzung übernommen hätten. Dass die jugoslawische Berufsmittelschule diesem historischen Grund-Typus entsprochen habe, sei ausreichend, denn ausländische Schulsysteme entwickelten sich nicht zwingend im Gleichlauf mit dem deutschen. Das Erfordernis vorerworbener beruflicher Kenntnisse sei ohnehin ein Ausnahmen zugänglicher Grundsatz; so sei etwa der Besuch einer Krankengymnastik-, Pflege- oder MTA-Schule auch gegenwärtig noch anerkanntermaßen als Fachschulbesuch vormerkungsfähig.

Urteil vom 21.01.2021 – S 6 R 1483/19 (nicht rechtskräftig)

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